STARK-WATZINGER-Interview: Wir brauchen ein Gesamtkonzept für digitale Bildung
Frage: Frau Stark-Watzinger, Ihr Kabinetts- und Parteikollege, Finanzminister Christian Lindner hat in der vergangenen Woche den Haushaltsentwurf für das Jahr 2025 vorgelegt. Wie viel Geld steht für den neuen Digitalpakt 2.0 bereit?
Stark-Watzinger: Der Digitalpakt 2.0 muss kommen. Was wir dafür brauchen, ist ein Gesamtkonzept für digitale Bildung. Darin muss auch festgelegt sein, welche Fortbildung Lehrer in diesem Bereich erhalten, wie wir digitalisierte Pädagogik gestalten und wie wir die Verfahren beschleunigen und vereinfachen. Als Bund sind wir bereit, die Hälfte der Finanzierung zu übernehmen.
Frage: Was heißt das konkret in Zahlen?
Stark-Watzinger: Es wird nicht mehr so sein, dass der Bund 90 Prozent gibt und die Länder die restlichen zehn Prozent. Wir verhandeln auf Basis einer 50:50-Finanzierung. Aber das Geld ist das eine, die Inhalte das andere.
Frage: Nochmals: Was will der Bund in den Digitalpakt investieren?
Stark-Watzinger: Wir haben mit den Ländern noch über keine konkrete Gesamtsumme gesprochen, als Bund aber Vorsorge für den Haushalt 2025 und die Folgejahre getroffen.
Frage: Die Länder aber beklagen sich seit Monaten, dass der Bund sie wie Bittsteller behandeln würde. Ist das so?
Stark-Watzinger: Nein. Die Länder sind für Bildung zuständig. Und Bildung ist das Wichtigste. Die Zukunft unseres Landes wird in den Schulen entschieden. Wir brauchen kluge Köpfe. Deshalb unterstützen wir die Länder mit Milliarden. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Vereinbarung mit den Ländern erreichen können und der Digitalpakt 2.0 Anfang 2025 startet.
Frage: Unabhängig vom Digitalpakt: Die Kompetenz der deutschen Schüler beim Rechnen, Schreiben und Lesen sinkt seit Jahren. Deutschland schneidet bei Vergleichstests stets schlecht ab. Was läuft an Deutschlands Schulen schief?
Stark-Watzinger: Lange Zeit hat in Deutschland gegolten: Du kannst es schaffen, wenn Du Dich anstrengst. Dieses Aufstiegsversprechen müssen wir erneuern, etwa mit dem Startchancen-Programm. Ich sehe ein großes Problem bei der frühkindlichen Bildung. Gerade im Alter von zwei bis drei Jahren werden die Grundlagen gelegt – das gelingt bei uns allerdings zu wenig. Das A und O ist dabei die Sprachkompetenz.
Frage: Wird in Deutschlands Kitas also zu viel gebastelt?
Stark-Watzinger: Das will ich nicht sagen. Aber es müssen flächendeckend und frühzeitig verbindliche Sprachtests durchgeführt werden. Und wenn es entsprechend Förderbedarf gibt, muss auch konsequent gefördert werden. Neben der Sprachkompetenz gilt es, schon früh in der Kita das Sozialverhalten zu entwickeln, Neugier zu wecken und die Motorik zu fördern.
Frage: Kitas aber fallen in die Zuständigkeit der Sozialminister….
Stark-Watzinger: Umso wichtiger ist es, Kitas als Bildungsorte zu begreifen und bei pädagogischen Konzepten die Wissenschaft mit ins Boot zu holen. Die Stoffvermittlung muss stärker evidenzbasiert sein. Die Methode „Schreiben nach Gehör“ hat uns definitiv nicht weitergebracht. Es kommen heute viele Herausforderungen in den Schulen an – durch Zuwanderung, durch andere gesellschaftliche Entwicklungen. Gleichzeitig fehlt es an Lehrerinnen und Lehrern. Das passt nicht zusammen.
Frage: Die von Ihnen angesprochene Stoffvermittlung liegt am Ende des Schultages vor allem in den Händen der Lehrer. Davon aber gibt es derzeit viel zu wenige. Wie kommt Deutschlands Bildungslandschaft aus diesem Tal wieder heraus?
Stark-Watzinger: Lehrer sind der zentrale Faktor für den Bildungserfolg. Sie brauchen mehr Zeit für den Unterricht, gerade die Vor- und Nachbereitung. Wir müssen sie daher von bürokratischen Pflichten entlasten. Parallel müssen wir den Lehrerberuf, der ein herausfordernder, aber auch toller Beruf ist, gezielt stärken und attraktiver machen.
Frage: Was heißt das konkret?
Stark-Watzinger: Die Länder müssen Lehrer in ihrer Ausbildung besser auf den Beruf vorbereiten. Der pädagogische Anteil im Lehrerstudium muss dafür erhöht werden. Und wir müssen die angehenden Lehrer früher mit der Praxis, also den Schulen und dem Unterricht, vertraut machen. Der Lehrerberuf verdient auch mehr Wertschätzung.
Frage: Unabhängig von der Qualität der Lehrer – ist in Deutschland nicht auch der Föderalismus in der Bildung ein großes Problem? Wäre es nicht besser, wenn das Abitur in Bremen und Bayern beispielsweise komplett identisch wäre? Müssen wir 16 verschiedene Abis haben?
Stark-Watzinger: Eine deutliche Mehrheit der Bürger findet ein einheitliches Abitur gut. Wie gesagt, sind aber die Länder für Bildung zuständig, mit sehr vielen Beteiligten – Bund, Länder, Kreise, kommunale Schulträger vor Ort. Da sind die Verantwortlichkeiten nicht immer klar und sinnvoll verteilt. Richtig ist, dass der Schulalltag vor Ort organisiert und gestaltet wird. Aber wir brauchen auch mehr Standards, die für alle gelten. Das Ziel muss sein: Gute Bildung für alle Kinder in unserem Land.
Frage: Apropos Standards und gute Bildung: An Berlins Hochschule ist die Situation aufgrund von zum Teil israelfeindlichen Demonstrationen – sagen wir es zurückhaltend – sehr angespannt. Zwischenzeitlich musste ihre Staatssekretärin den Posten räumen, es gibt Proteste und hitzige Diskussionen. Sie als Ministerin stehen seit Wochen im politischen Feuer. Haben Sie persönlich etwas falsch gemacht? Was ist in der Kommunikation schief gelaufen?
Stark-Watzinger: Zunächst einmal ist es erschreckend, wie sehr der Antisemitismus seit dem 7. Oktober bei uns wieder aufgebrochen ist. Dass man Kritik an Israel äußert, ist die eine Sache, aber bei den pro-palästinensischen Protesten an Hochschulen sind Grenzen überschritten worden. Das können wir nicht hinnehmen und es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, die Stimme gegen Israel- und Judenhass zu erheben. Dabei ganz wichtig: Die Wissenschaftsfreiheit ist klar von der Meinungsfreiheit zu trennen.
Frage: Was heißt Letzteres?
Stark-Watzinger: Natürlich sind Hochschulen Orte der maximalen Debatte, aber keine rechtsfreien Räume. Das bedeutet, dass man sich friedlich mit Argumenten austauschen kann, aber nicht schreiend, drohend und mit Terrorsymbolen. Und es bedeutet, dass die Wissenschaftsfreiheit ein hohes Gut ist, das niemals in Zweifel gezogen werden darf.
Frage: Haben wir denn grundsätzlich ein Problem mit Antisemitismus an Deutschlands Hochschulen?
Stark-Watzinger: Leider kam es gerade auch dort zu israel- und judenfeindlichen Aktionen.
Frage: Ebenfalls kontrovers wird derzeit weltweit der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) diskutiert. Was macht KI mit uns?
Stark-Watzinger: KI ist da und sie wird bleiben. KI ist also kein Toaster, sondern grundlegend wie Elektrizität. Wir müssen uns mit ihr auseinandersetzen und sie verstehen. KI ist eine große Herausforderung, aber vor allem eine riesige Chance – beispielsweise in der Medizin oder in der Robotik. Es passiert so viel und so schnell in diesem Bereich, weshalb wir als Bundesforschungsministerium einen KI-Aktionsplan entwickelt haben.
Frage: Stehen wir bei der KI am Beginn einer Revolution?
Stark-Watzinger: KI hat dieses Potenzial und deshalb fördern wir sie. KI wird sich auch für Deutschland zu einem extrem wichtigen Wettbewerbsfaktor entwickeln.